Spielleute im Wandel der Zeit
Die geschichtliche Entwicklung der Spielmannsmusik beginnt bei den fahrenden Sängern und Gauklern des Mittelalters. Die Fähnlein der Landsknechte übernahmen einige der Spielweisen, entwickelten sie zur traditionellen militärischen Feldmusik des 15. bis 19. Jahrhunderts und waren die Grundlage für die modernen Spielmannszüge der heutigen Zeit.
I. Fahrende Spielleute im Mittelalter
I. Fahrende Spielleute im Mittelalter
Seit dem 11. Jahrhundert wuchs in ganz Europa die Beweglichkeit der Menschen, nicht nur was ihre Reiselust und ihre Bereitschaft, neue Siedlungsgebiete zu erschließen, betraf, sondern eng damit verbunden auch die Hinwendung zu geistigem Neuland. Im Tross der Heerzüge, auf den Pilgerpfaden und in den Städten am Rande der großen Handelswege trieb sich vermehrt allerlei Gesindel herum: durch Kriege und Verwüstung Entwurzelte, Krüppel, Strolche, fahrende Händler und - Spielleute. Als Musiker, Dichter, Schauspieler, als Tanzmeister, Akrobaten, Jongleure, Feuerspucker und Zauberer suchten sie sich ihr tägliches Brot zu verdienen. Die Spielleute waren nicht sesshaft und unterstanden damit keinerlei Herrschaft oder Obrigkeit, was im damaligen, personengebundenen Herrschaftssystem gleichkam mit Recht- und Schutzlosigkeit. Sie standen daher am Rande des irdischen Ordnungsgefüges und im Widerspruch zu dessen gottgewollten Normen. So erklärt sich die seit der Spätantike andauernde Verdammung der Spielleute als Werkzeuge des Teufels, als schamlose Verführer der Menschen, die sie angeblich vom Heilswege ablenkten. Verführer wie Verführte verwirklichten in den Augen der Kirche mit ihrem sündhaften Tun den Anspruch auf ewige Seligkeit. Dem kirchlichen Verdammungsurteil entsprach die Behandlung der Spielleute im weltlichen Recht als Ehr- und Rechtlose.
Im Widerspruch zur theoretischen Ächtung der Spielleute stand jedoch ihre Beliebtheit bei hoch und niedrig, in Burgen, Klöstern und Kirchen ebenso wie in Städten und Dörfern. Immerhin rekrutierten sie sich aus allen Gesellschaftsschichten: Entlaufene Mönche und Nonnen zogen mit, ebenso wie musikalisch oder schauspielerisch begabte ehemalige Handwerker und Kaufleute. In manchen Gegenden war der Spielmannsberuf auch für einen verarmten Adeligen ein durchaus praktizierbarer Broterwerb. Ihr Lohn war je nach Mentalität und Geldbeutel der Auftraggeber ein „Gotteslohn“, ein gutes Essen, ein getragenes Kleidungsstück, ein Empfehlungsschreiben, in Ausnahmefällen auch Schmuck, ein Pferd oder sogar ein kleines Lehen.
Die beliebtesten Instrumente waren: Fiedel, Flöten und Pfeifen, Schalmeien, Dudelsack, Drehleier, Laute, Trompeten, Businen und mancherlei Schlagwerk. Ihr Repertoire erstreckte sich von der einstimmigen, durch Bordune, heterogene Instrumentalbesetzung und kontrapunktierende Rhythmik farbig ausgestalteten Spielweise über zotig-freche oder anmutige Lieder höfischer oder bürgerlicher Provenienz, über Vagantengesänge und bäuerliche Tanzmusik bis hin zu frühen mehrstimmigen geistlichen Werken. Die Darbietung dieser Weisen erfolgte selten in der heute üblichen konzertanten Form. Man muss sich den Spielmann inmitten eines Kreises von Zuhörern oder Tänzern vorstellen.
Mit lebhafter Mimik und Gestik unterstreicht er seine phantastischen Geschichten, betont großmäulig die eigene Bedeutung, pariert schlagfertig Einwürfe aus dem Publikum und wirbt schmeichlerisch um dessen Gunst. Er beherrscht eine ganze Palette von Tricks, mit denen er seine Zuhörer hinreißen und ihnen das Geld aus den Taschen locken kann.
Je älter Musiken sind, um so schwieriger ist die angestrebte Wiederaufführung der Originaltreue. Die Rekonstruktion historischer Melodienverläufe hat ihre Grenze schon alleine dadurch, dass die damals übliche Notenschrift keine sichere Bestimmung der Tonhöhen und besonders der Tonlängen erlaubt. Hinzu kommt, dass von den etwa 40 bekannten echten instrumentalen Spielmannsmusiken und frühen Liedern einige nur bruchstückhaft erhalten sind, meist einstimmig.
Die Vielfalt des mittelalterlichen Instrumentariums können wir uns heute kaum mehr vorstellen. Jeder Spielmann stellte seine Instrumente selber her, nahm Änderungen und Verbesserungen vor, die manchmal auf Wanderungen und durch Kontakte zu anderen Kulturkreisen Ergänzungen erfuhren.
Da die ursprüngliche Instrumentierung der Musikstücke fast nie überliefert ist, entscheiden neben feststehenden Faktoren wie Entstehungszeit, Notationsweise, Melodienumfang, Textinhalt und vermutetem Aufführungsort schließlich persönlicher Geschmack und Einfühlungsvermögen über eine angemessene Besetzung. Auf fast allen Abbildungen historischer „Spilmanszenen“ werden neben den Melodieinstrumenten auch Rhythmusinstrumente dargestellt: ein umfangreiches Schlagwerk gehörte selbstverständlich zur Tradition weltlicher Musik des Mittelalters.
II. Historische Feld- und Armeemusik
II. Historische Feld- und Armeemusik
Die Pfeifermusik für die Zeit vom 15. bis 19. Jahrhundert war sehr stark im militärmusikalischen Bereich verankert. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erforderte die neue Kampfweise der Truppe zu Fuß eine lautstarke Trommel, um als Kommando- und Signalinstrument einen geordneten Schlachthaufen erstellen und in Bewegung setzen zu können. Die tonlich durchdringende Trommelpfeife (auch Schweizerpfeife genannt) bildete zusammen mit der Trommel das sogenannte Feldspiel oder „Spiel“. Die schweizerischen Kriegsknechte wurden zu den bekanntesten Söldnern in ganz Europa, und mit ihnen erlangte auch das eidgenössische Feldspiel europäische Bedeutung.
Die Struktur der alten Feldmusik bestand in unverändert gleichbleibender Stärke von zwei „Spilen“, die zwei „Pfeifer und Trommler“ waren. Diese Spielleute waren bestimmten militärischen Grundeinheiten zugeteilt. Diese Grundeinheiten bestanden zunächst aus den Fähnlein der Landsknechte, später waren es die Infanteriekompanien der Regimenter zu Fuß. Einordnung, Aufgaben und Spielgut der Spielleute findet man nur in den Ordonanzen, Reglements und Zeremonievorschriften sowie in höfischen Archiven.
Die Aufgaben der Spielleute waren sehr vielfältig. Vom Wecken bis zum Zapfenstreich regelten ihre Signalstücke den soldatischen Tagesablauf. Den Tagesdienst bereicherten sie mit ihren charakteristischen Kurzformen von Spielstücken für Trommel und Pfeife. Diese Spielstücke, auch „Regimentsstreiche“ oder „Ordonanzen“ genannt, sind oft außerordentlich lebhaft. Sie waren in der Regel zweistimmig gesetzt. Die Vielfalt des mittelalterlichen Instrumentariums ging in dieser Zeit leider verloren. Eine Ergänzung trat erst Anfang des 18. Jahrhunderts ein, nachdem aus der türkischen Heeresmusik (Janitscharen) die Große Trommel, Becken, Triangel und der Schellenbaum in die europäischen Kapellen gelangt war.
Über den Schellenbaum, das Paradestück türkischer Musik, schreibt der Musikhistoriker Dolleczek noch 1896: „ Der Träger des Schellenbaumes war Führer der Banden (Kapellen!). Während der Regimentstambour ein schöner, hochgewachsener Mann sein musste, der nicht nur das Privilegium hatte, sondern sogar verpflichtet war, einen langen, wallenden, vollen Bart zu tragen, so war es der Stolz der Musikbanden, zum Träger des Schellenbaumes eine möglichst burleske Person zu finden, womöglich einen echtfarbigen Neger. Waren solche auch für die Becken und die große Trommel zur Verfügung - um so besser.“
Die Lyra hat - wenngleich als Melodieinstrument eingesetzt - auch im Schellenbaum ihren Ahnherrn; ihr Name jedoch stammt vom antiken Saiteninstrument der Griechen.
Die im frühen 19. Jahrhundert einsetzende stürmische Entwicklung der Armeemusik vernachlässigte die kleinen Formen der Barockmusik sehr stark oder baute sie für das große Blasorchester um. Die Wiederherstellung der originalen Fassungen, in der Kunstmusik für jeden Interpreten heute eine kulturelle Konsequenz, sollte auch die historische Feldmusik einschließen. Das musik- und kulturgeschichtliche Bild vergangener Jahrhunderte wäre nicht authentisch und vollständig ohne die sehr lebendige Gruppe der Feld- und Armeemusik. Die Militärmusik hat rückblickend drei alte Darstellungsformen:
- Feldspiel der Pfeifer und Trommler
- die alte Reitermusik mit den Feldtrompeterkorps (Fanfarencorps)
- Frühformen der späteren Musikkorps
Dieses Triptychon wird im Großen Zapfenstreich noch einmal mit stärkster Logik zusammengebunden.
Mit der Weiterentwicklung der militärischen Blasorchester wurden die Spielmannszüge immer mehr verdrängt. Bei der Planung der Musik der Bundeswehr wurde ersichtlich, dass in der Truppe keine etatisierten Spielleute mehr benötigt wurden. Teile des jüngeren Personals übernahmen simultan zum Musikkorps für gewisse zeremonielle Aufgaben den Part der Spielleute. Nachdem die zivilen Spielmannszüge einen sehr hohen Leistungsstand erreicht hatten, erkannte man in den letzten Jahren allerdings auch in der Führung des militärmusikalischen Dienstes der Bundeswehr die Notwendigkeit, Spielmannszüge in der Truppe wieder ins Leben zu rufen. So gibt es inzwischen in vielen Musikkorps ausreichend Planstellen für Spielleute. Vor allem Grundwehrdienst leistende Spielleute sind hier also in Zukunft aufgefordert, die positiven Entwicklungen aus den zivilen Korps in die Bundeswehr zu tragen.
III. Das heutige Spielmannswesen
III. Das heutige Spielmannswesen
Schon im vorigen Jahrhundert wurden neben den militärischen auch zivile Spielmannszüge gegründet. Schon seit Turnvater Jahns Zeiten nach 1813 und später im Arbeiter-Turnverein bediente man sich der traditionellen Gruppe der „Trommler und Pfeifer“. Um die Jahrhundertwende bildeten sich, je nach Struktur der Feuerwehren, auch dort immer mehr Spielmannszüge und Musikvereine. In der Weimarer Zeit und im Dritten Reich wurde die Spielmanns- und Fanfarenmusik in den Kriegervereinen und den politischen Organisationen vor allem im Bereich der Marschmusik gepflegt.
Der Durchbruch zur Eigenständigkeit des Spielmannswesens erfolgte ab 1948. Zahlreiche Neugründungen, verbesserte Instrumente und die Einbeziehung in die großen Musikverbände stärkten diesen instrumentalen Musikzweig. Vor allem der Deutsche Volksmusikerbund, der Volksmusikerbund NRW und die Bundesvereinigung Deutscher Blas- und Volksmusikverbände (BDBV) fördern nachhaltig das heutige Spielmannswesen. Die Einbeziehung der Spielleute in den 5. Deutschen Orchesterwettbewerb 2000 zeigt die Eigenständigkeit und Leistungsfähigkeit dieser Musikrichtung am besten. Die Ziele der BDBV sind engagierte Öffentlichkeitsarbeit, humane Freizeitgestaltung, landschaftsbezogene Brauchtumspflege, völkerverbindende Kontaktpflege in Europa und die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Die einzelnen Landesverbände haben die Aufgabe, Dirigenten und Stabführer, Ausbilder und Jugendausbilder durch entsprechende Lehrgänge Auszubilden. Die Aufgaben der Kreisverbände sind dann vor allem in der musikalischen Erziehung der Musiker zu sehen. Und bezüglich der Jugend ist die erste Aufgabe, in diesen Jugendlichen die Liebe zur Musik zu wecken und sie fachlich richtig orientiert zur Musik zu führen und sie auszubilden.
Moderne Einflüsse, auch aus dem westlichen Ausland, z.B. den Niederlanden, beeinflussten die Instrumentierung und die Spielliteratur im Spielmannswesen erheblich. Im Flötensatz ging man von der historischen Zweistimmigkeit von Spielmannsflöten gleicher Stimmung ab und verwendet heute einen 4-Flötensatz unterschiedlicher Stimmung. So kann die volle Harmonie im 4-6-stimmigen Flötensatz hervorragend intoniert werden. Teilweise kommen auch bereits normale Klappenflöten zum Einsatz.
Die typische Instrumentenfamilie der Spielmannsflöten ist wie folgt gegliedert:
- Die Diskantflöte übernimmt alle Läuferpartien, die für die Sopranflöte nicht so gut liegen oder klingen. Sie ist praktisch „der Hansdampf in allen Gassen, der kleine Lausbub, der nie eine Ruhe gibt.“ In vielen Bearbeitungen und Kompositionen hat die Diskantflöte auch eine solistische Funktion.
- Die Sopranflöte ist in der Familie die „ erwachsene Tochter, die schon überall mitreden darf und ernst genommen wird.“ Deshalb ist sie auch gut besetzt, normalerweise dreistimmig.
- Die Altflöte hat als Mutter der Familie einen weichen, friedlichen Ton und ihr schönes Klangvolumen wird vor allem bei Tenor- und Baritonstellungen verwendet. Bei guter Besetzung sollte sie auch mehrstimmig eingesetzt werden.
- Die Tenorflöte ist der Vater der Familie, der nichts wissen will von großer Eile und schnellen Läufen. Schöne Variationen im Drei- und Vierklang werden hier oft verwendet. Zahlreiche Vereine setzen hier inzwischen auch Konzertflöten ein.
- Bei den Trommeln führte die Entwicklung von der flachen Infanterietrommel über die höhere Marsch-Konzert-Trommel zur Paradetrommel. Große Trommel und Becken sind zusammen mit der Lyra als unentbehrliches rhythmisches Element nicht mehr wegzudenken. Bei modernen Werken ist neben dem Drum-Set die ganze Palette der Percussion-Instrumente im Einsatz: z.B. Bongos, Cabazas und Sambapfeifen, Schüttelrohre, Glocken und Claves, Maracas, Templeblocks und Schellenkränze, Xylophon, Marimbaphon und sogar Kesselpauken.
Bei der Spielliteratur ging zunächst leider die historisch bedeutsame Tradition des deutschen Spielmannswesens zurück. Die Übertragung von Werken für Blasorchester und sinfonischen Kompositionen auf die eher bescheidenen Mittel der Spielmannszüge konnte nicht immer gelingen und brachte der Spielmannsmusik nicht nur Freunde. Hier ist Originalliteratur notwendig, sowohl traditionelle wie moderne, die die Besonderheiten des Spielmanns-Instrumentariums berücksichtigt.
In den letzten Jahren hat sich in diesem Bereich allerdings sehr viel Positives getan. Komponistenwettbewerbe für die Spielleute lieferten gute Originalliteratur, die von Auswahlorchestern (z.B. dem Landesspielleutekorps NRW und vielen Kreisspielmannszügen) auch einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt wurden und inzwischen in vielen Vereinen zum Repertoire gehören. Nur wenn diese Entwicklung weitergeht, wird das Spielmannswesen auch in der Zukunft aktive Anhänger finden und als eigenständiger Zweig der Instrumentalmusik allgemein anerkannt werden.
Quelle: Heinz Heider, Spielmannszug St. Sebastianus Olpe